Nobody Knows
Rezensionen

RockKultur Mag – Lyrik im Anzug

Lyrik im Anzug könnte man einfach als Nebenprojekt von Nobody Knows bezeichnen, die ihrem Folk King mal etwas Auszeit gönnen wollen. Doch damit würde man diesem liebevoll gestalteten Schmuckstück nicht gerecht werden. Da die elegante Lyrik im Zwirn bei Fans und Musikern gleichermaßen beliebt ist, hat man bereits in der Vergangenheit fleißig poetische Lebenszeichen von sich gegeben. Auch die neue Veröffentlichung, die selbstbetitelt aber dennoch nicht weniger innovativ ist, wartet mit allerlei verbalem Gaumenschmaus auf. Francois zeigt, dass man sich nach wie vor auch in der französischen Sprache sicher genug fühlt, um seiner Kreativität Ausdruck zu verleihen, magnifique! Nicht zuletzt vielleicht auch, weil die Frankophilie schon immer zum inoffiziellen Rüstzeug der Intellektuellen gehörte.

Doch natürlich gibt es bei „Lyrik im Anzug“ vor allem auch Gesang und Dichtung in der Muttersprache der Band und wie praktisch, dass diese auch die der Dichter und Denker ist. Denn wenn unser Land für etwas bekannt ist, dann doch unter anderem auch für die großen Dichter und Schriftsteller, die es hervorgebracht hat. Doch während die Locken von Schiller längst von Staub durchsetzt sind und Goethe auch nur noch auf dem Papier lebt, sorgt „Lyrik im Anzug“ für poetischen Nachschub. Dabei zeigen sie für eine Band mit – rein biologisch – jungem Alter sehr viel Tiefgang und Mut zur offen dargestellten Gefühlsbetontheit. Da wird mit Chiestra Nostra auch mal ein rein instrumentelles Lied auf CD gepresst, in dem ein melancholisches Piano seine mit Nostalgie verwöhnten Melodien verlauten lässt. Würde man den Vergleich zu Nobody Knows und deren „Folk-Programm“ erzwingen wollen, könnte man wohl so etwas wie eine etwas ernstere Vaterfigur in „Lyrik im Anzug“ erkennen. Doch warum vergleichen, wenn das Projekt doch für sich alleine genug Ausdruckskraft hat?

Es ist bestimmt weniger kommerziell verträglich, aber das ist ganz gewiss kein Manko. Stattdessen hat man beim Hören der gereimten Verse und teilweise spirituell anmutenden Melodien eher das Gefühl, man befände sich in einem erlesenen und exklusiven Kreis, einem lyrischen Zirkel. Dieser lädt zum Zuhören und Sinnieren im großen und kleinen Rahmen ein. Die Themen und Texte sind größtenteils eher dem melancholischen Sentiment gewidmet und kreieren mit Stücken wie Vereinsamt oder Kriegsballade eine ganz intime Stimmung. Doch mit Heidenröslein oder Sehnsucht gibt es durchaus aus Ausbrüche aus diesem Muster, die zwar immer noch reduzierte aber dennoch fröhliche Klangfarben erklingen lassen. Nach wie vor ein Geniestreich ist Heinrich Heines Lorelei, das mit der musikalischen Untermalung von Max Heckel so vollkommen schön ist, dass man es bedauert, dass Heine diese Interpretation nicht mehr zu hören bekommt.

Als zusätzliches Geschenk für die Fans gibt es auch noch eine Bonus-CD, die weitere Interpretationen der galanten Songlyrik präsentiert. Doch neben der inhaltlichen Arbeit an dem Projekt „Lyrik im Anzug“ muss definitiv auch der gestalterische Fleiß der Beteiligten anerkannt werden. Auch dieses Mal ist das Artwork der CD sehr gelungen. Mit seiner Aufmachung in Schwarzweiß ist es nicht nur eine Reminiszenz an den namensstiftenden Anzug, sondern auch ein kleiner Vorgeschmack auf den musikalischen Inhalt: Gewollte stilistische Schnörkel, die sich dem Zuhörer nicht aufdrängen und eine poetische Eleganz mit Augenzwinkern und Tiefgang herbeizaubern! Ja, man möchte sich durchaus dazu hingerissen fühlen zum Augenblick zu sagen: „Verweile doch, du bist so schön.“

Jessy, RockKultur Mag, 05.2012 (PDF)

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