Nobody Knows
Interviews

Interview mit Jens (celtic rock)

Erst mal vielen, vielen Dank, dass Ihr Euch Zeit genommen habt, um mit mir das Interview zu machen!

Das versteht sich doch von selbst. Und es ist immer schön, wenn sich jemand für unsere Musik Zeit nimmt und mehr wissen will als die üblichen Eckdaten. Insofern: Chapeau, Jens!

Neben „folKing around“ ist „Lyrik in Anzug“ ein zweites Programm, mit dem ihr auf der Bühne steht. Wie seid ihr auf die Idee gekommen Lyrik und Musik zu verbinden? Wo her ist da die Liebe zu dem Thema gekommen?

Das Lyrikprogramm ist entstanden, weil Max sehr viele Vertonungen von Villongedichten mit zur Probe gebracht hat. Die passten aber nicht zu dem Folk-„Konzept“, so dass wir uns überlegt haben, ein anderes Programm daraus zu machen. Bei unserem Folkprogramm wird gefeiert und getanzt – es geht also meistens etwas lauter zur Sache. Das Lyrikprogramm bietet indes, die Möglichkeit, auch ruhige Titel – und das nicht nur als Ausnahme – auf die Bühne zu bringen. Es macht Spaß, wenn ein Publikum mitsingt und feiert, aber es ist ebenso toll, wenn alles ruhig ist, wenn man im Konzertsaal den vielbeschriebenen Nadelfall hört. Außerdem ist dann auch mehr Zeit, etwas zu den Stücken zu sagen. Dass da zwangsläufig auch das Thema „Liebe“ Einzug hält, ist wenig verwunderlich, wenn man bedenkt, dass die gefühlte Hälfte der Weltliteratur und –Lyrik diesem Thema verschrieben ist. Ein weiterer Grund für das Lyrikprogramm ist auch, dass wir viele Melodien hatten, aber keine Texte dazu. Wir haben nur wenige Stücke mit eigenem Text, weil es einfach so wenig zu sagen gibt. Nicht, dass wir interessen- oder belanglos wären, aber wir wollen einfach, dass die Leute mit uns über die Länge eines Auftritts und möglichst darüber hinaus, den Alltag vergessen. Darüber kann man natürlich auch vortreffliche Texte schmieden, aber das ist nicht in unserem Sinne. Aus diesem Grund bedienen wir uns der textlichen Ideen von Dichtern. Dabei macht grade die Verfremdung Spaß. Es gibt tausende Versionen, die den traurigen, letzten Ritt beim „Erlkönig“ besingen. Warum denn nicht auch mal das Unerwartete wagen?

Wie ist es dazu gekommen, dass letztlich aus der einen geplanten ~ Lyrik im Anzug ~ CD nun noch eine weitere zusätzliche CD ~ Im Anzug ~ mit beiliegt?

2007 kam „Im Anzug“ raus. Wir haben zu Hause ein paar Titel aufgenommen und sie dann auf einen Silberling gepresst. Da das aber so wenige Titel sind, viele Leute aber ebd. CD auch nach dem Ausverkauf der ersten zwei Auflagen haben wollten, haben wir beschlossen aus der neuen Lyrik-CD einfach ein Doppelalbum zu machen. So liegen neben den alten Interpretationen auch neue auf der Scheibe vor, was u.a. auch unsere Entwicklung zeigt. „Im Anzug“ klingt noch sehr „kindlich“, indes wir bei „Lyrik im Anzug“ auch Sachen mit Orchester gespielt haben. Das klingt natürlich anders, als wenn man Stücke mit nur vier Instrumenten einspielt. Das Nebeneinander unterschiedlicher Interpretationen aus unserer Feder ist doch eigentlich reizvoll, oder?!

Gedichte wie „Erlkönig“, „Heidenröslein“ oder auch „Lorelei“ kennt man ja aus der Schule, wobei „Lorelei“ schon oft vertont wurde. Wie kamt ihr da auf die Kompositionen? Wie sind Euch die Melodien eingefallen?

Wir wollten anfangs insbesondere die Gedichte angehen, die jeder irgendwie noch kennt. Mittlerweile kommen wir da an Grenzen, weil bspw. nicht jeder „Willkommen und Abschied“ oder den „Osterspaziergang“ kennt. Balladen wie „Der Zauberlehrling“ oder „Der Handschuh“ sind aber einfach zu lang, als dass wir sie musische verpacken könnten. Aber mal sehen, vielleicht gehen wir die auch mal an. Der Entstehung eines Stückes geht zumeist ein kurzer, musischer Impuls voraus, will sagen, meist hat Max eine grundsätzliche Idee zur Melodie, die dann während der Probe von allen bearbeitet wird. D.h. das Grundgerüst wird von daheim mitgebracht und im Proberaum wird dann Musik daraus gemacht. Manchmal klimpern wir auch einfach während der Probe und dann gefällt uns eine bestimmte Akkordfolge. Dann wird daran weitergebastelt und ein Text draufgepackt. Anders herum funktioniert es aber auch, so bspw. bei „Tandaradei“. Max gefiel der Text und dann hat er eine Melodie dafür geschrieben. An manchen Tagen ist also zuallererst der Text und dann die Musik, an anderen verhält es sich anders herum.

„Lyrik im Anzug“ behandelt mittelhochdeutsche Liebeslyrik, romantische Naturexkurse und endet im Ersten Weltkrieg. Nach welchen Kriterien sucht ihr Eure Texte aus?

Der Einfluss aus dem Mittelhochdeutschen war im letzten Programm sehr groß, weil Max seine mediävistische Neigung etwas auslebt. Prinzipiell sind wir jedoch für alle Formen von Lyrik empfänglich, solange sie sich im vertretbaren, inhaltlichen Rahmen entfaltet: Sexismus oder Extremismus werden wir nicht vertonen!

Liest jemand von uns ein Gedicht, dass er gern vertont wissen möchte, so steht es ihm frei, es den anderen zu zeigen oder gleich eine Vertonung mitzubringen. Wie auch unsere Musik, sollen die Gehalte ja berühren – und das kann auf sehr unterschiedliche Weise geschehen. So berührt die Neuinterpretation des „Heidenrösleins“ sicherlich anders als die „Kriegsballade“.Inhaltlich sind wir also sehr offen für alles.

Ihr habt ja auch in eurem Folkprogramm einige Sachen von Villon. Wie kommt es zu diesem ausgesprochen intensiven Nutzen seiner Gedichte?

Auch hier liegt der Ursprung bei einer Neigung von Max. Da gab es halt eine Phase, in der er viel von ihm gelesen hat und das beeinflusst irgendwie bis heute. Villons Lyrik ist von einer vielschichtigen Unmittelbarkeit, die sehr eingängig berührt. So schreibt er bisweilen äußerst vulgär, schlägt dann aber sofort in die feinsten Verschleierungen um. In einem Vers berichtet er fast hämisch von Mord und Totschlag, im nächsten bedauert er die Endlichkeit des Menschen. Es ist, glaube ich, diese Form von dialektischer Symbiose, die seinen speziellen Reiz ausmacht. Dazu kommt, dass die Übersetzungen von Paul Zech (aus dem Französischen) wahrhaft großartig sind. Schlussletztlich ist Villon aber auch eine Person, über die man vortrefflich erzählen kann, wenn man bedenkt, wie er lebte – zwischen Todesurteil und Gottestreue, Atheismus und Integrität, Lüsternheit und … Das könnte man nun so fortsetzen. Fest steht, dass man über die Person Villons einfach wunderbar viel berichten (und erfinden – siehe Zechs„Biographie“) kann.

Max Heckel, Maximilian Heinrichs und Georg Marth sind Namen, die immer wieder im Booklet auftauchen, vor allem die beiden erst genannten Namen. Legt ihr wert drauf, so viel wie möglich selber zu machen, damit es so wird, wie ihr es wollt?

Georg hat „Im Anzug“ aufgenommen. Maximilian hat indes die Hauptarbeit bei „Lyrik im Anzug“ geleistet. Zum einen ist es uns natürlich wichtig, dass bestimmte Sachen nicht aus der Hand gegeben werden. Cover, die aus einem Foto und einem draufgeklatschten Namenszug bestehen, sind eine liebevollen Arbeit einfach nicht würdig. Wir legen sehr viel Wert auf Details – wenn man sich das Booklet mal anschaut, wird mal überall kleine Dinge entdecken, für die man sich Zeit nehmen muss. Sowas entsteht ja nicht einfach so. Außerdem haben wir viele Ideen. Warum also an eine andere Person abgeben? Ein weiterer Aspekt ist allerdings nicht zu leugnen: Wenn man Aufgaben abgibt, dann kostet das was. Wir haben 2011 „folKing around“ aufgenommen, was uns an den Rand unserer finanziellen Ressourcen gebracht hat. Es war einfach nicht das Geld da, permanent ins Studio fahren und kleine Bastelarbeiten zu machen. So haben wir viel selbst gemacht und ich glaube nicht, dass das so sehr auffällt.

Im Booklet sind Zeichnungen von der Künstlerin Michaela Herbst zu sehen. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?

Wir kennen die Künstlerin schon seit vielen Jahren. Vor etwa fünf oder sechs Jahren haben wir mal ein Konzert gegeben und sie hat ausgestellt. Seitdem haben wir Kontakt gehalten und als es dann darum ging, dass irgendwer eine optische Interpretation der vertonten Gedichte liefern könnte, haben wir sofort an Michaela gedacht. Das Arbeiten mit ihr hat großen Spaß gemacht, weil wir uns immer über Interpretationen austauschen konnten. Sie sind schlussletztlich von manchem Lied, wie bspw. „Tandaradei“ drei Interpretationen auf dem Doppelalbum: zwei in Liedform und eine Zeichnung.

Plant ihr aktuell etwas und was kommt in naher Zukunft?

Dieses Jahr treten wir etwas kürzer. Wie gesagt, das letzte war finanziell und auch arbeitstechnisch sehr belastend, so dass wir dieses Jahr nur kleine Projekte angehen. Maximilian und Max arbeiten bspw. an einer Hörbuchproduktion und einer E-Musik-Komposition. Ronny musiert nebenbei in einer Bluesband mit. Max tritt bisweilen als Gastmusiker in anderen Projekten auf. Das heißt aber nicht, dass wir untätig sind. Am 03.11.2012 veranstalten wir ein Liedermacherfestival mit unterschiedlichen Bands, Jonglage, Akrobatik, Zauberei und Pantomime-Show. Wir wollen immer mal wieder was Neues ausprobieren. Wie es im Booklet steht: Nicht alles, was neu hervortritt, ist auch besser als seine Vorgänger. Aber eine Verbesserung erreicht man nur auf diesem Wege. Niemals Stillstand. 2013 wird es unser Festival „Folk! in die Nacht“ wieder geben und außerdem ist auch ein neues Album geplant. Außerdem werden wir noch ein neues Lyrikprogramm machen, in dem wir uns vollkommen François Villon und seiner Rezeption widmen wollen. Ja, mehr nicht erstmal …

Was ist Euch mal wichtig zu sagen?

Dass wir froh sind über jeden, der nicht borniert daherkommen und ausruft: „Wehe, Euch Schändlichen! Ihr macht weder Irish Folk noch echten Country. Entscheidet euch doch mal.“ Ich verstehe diese Folkpuristen nicht – das gleiche Argument würde sonst lauten: „Unterlasst die Rassenmischung. Das ist schlecht.“ Wer würde sowas äußern?! Aber in der Musik ist es scheinbar ok … Wir sind überzeugt, dass jede Form von Musik und Kunst eine Auseinandersetzung mit der Welt ist, und dass niemand sich anmaßen sollte, über ebd. zu richten. Wir hatten diesbezüglich vor kurzer Zeit einen etwas unangenehmen Vorfall. Was wir wollen: Unterhalten. Spaß haben: Für, vor allem aber mit den Leuten, die zu uns kommen. Wir freuen uns sehr, dass unsere Musik, die konzeptionell konzeptionslos ist, zunehmend auf offene Ohren stößt, und dass sich Celtic Rock auch auf dieses Experiment mit uns einlässt. Wir haben also zu danken!

Danke für die Zeit, die ihr Euch genommen habt!

Jederzeit gern wieder, lieber Jens. Wir danken dir. Also auf bald, möglichst in der Nähe von den Brettern, die die Welt bedeuten.

celtic rock – JensP, (07/2012) (PDF)

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